In der agilen Welt reden wir gerne von Frameworks. Für jeden Spezialfall gibt es mittlerweile das richtige Werkzeug: Scrum, Kanban, Lean Startup, OKRs. Wenn diese Frameworks nicht ausreichen, wird nach dem passenden Canvas gesucht oder der ein oder anderen Rezeptur. Alles ist mittlerweile besprochen und verschult. Vorgegaukelt wird einem: Nimm die Methode X und du wirst es schaffen.
So findet die agile Unternehmensgründerin schnell ein Business Model Canvas, liest in Lean Startup vom Wundermittel Minimal Viable Produkt (MVP) und studiert unzählige Ideen dazu, wie man das Richtige für den User entwickelt. Ich frage mich manchmal, ob wir über all diese Tools nicht die zugrundeliegenden Prinzipien übersehen und verschweigen, wie viel harte Arbeit dahinter steckt (in dieser Podcast-Episode mit Jodok Batlogg sprechen wir beispielsweise über den harten und steinigen Weg, einen Invenstor zu finden). Doch all diese Arbeit bringt nichts, wenn die Grundlage fehlt: das Problem, das die Unternehmerin lösen möchte.
Ich finde, eines der schönsten Beispiele ist die Erfindung des Kinderfahrrades Woom. Da stellt sich jemand die Frage, wie schwer es für einen Erwachsenen wäre, mit einem Fahrrad, das halb so schwer wie er selbst ist, das Fahrradfahren zu lernen. Nimm ein 35 kg oder 40 kg schweres Rad und lerne, damit zu balancieren, zu pedalieren und einen kleinen Hügel raufzufahren. (Seid ihr schon einmal mit 30 kg Gepäck auf dem Rad einen Hügel mit 5 % Steigung hinaufgefahren? Für mich war das hart und ich konnte schon Fahrrad fahren.)
Klingt das grotesk und nach etwas, was niemand machen würde? Eben. Doch unseren Kindern muten wir zu, mit Fahrrädern Radfahren zu lernen, die oft mehr als die Hälfte des Eigengewichts unsere Kinder wiegen. Mit vier Jahren und einem Gewicht von 13 bis 16 kg ein Fahrrad von 7 bis 8 Kilo zu bewegen, muss hart sein. Geht doch einmal in den Baumarkt oder zum Sportladen und hebt die kleinen Räder.
Wo liegt das Problem?
Die beiden Gründer von Woom stellten sich diese Frage und entwickeln einfach ein leichtes Kinderfahrrad. Das Laufrad ist maximal drei Kilogramm schwer. (Für eine Zweijährige ist das immer noch locker 25 % ihres Eigengewichts, aber mit guten Kugellagern und leichtrollenden Reifen sollte es funktionieren.) Das erste Rad zum Pedalieren wiegt 5 kg. Das ist auch weit weg vom Verhältnis 1:10 bei einem Rennrad für Erwachsene. Doch es ist einfach um so viel leichter als die gängigen Kinderfahrräder.
Worauf ich hinaus will: Woom ist eines der erfolgreichsten Start-ups Österreichs. Vielleicht nicht im Sinne eines Silicon Valley Unicorns, doch mit mehr als 120.000 verkauften Fahrrädern im Jahr (die aktuellen Zahlen geben sie in diesem Podcast nicht bekannt), stellen sie sicher viele andere Hersteller von Fahrrädern in den Schatten. Sie lösten ein Problem und schufen ein Produkt: Ein kleines Kinderrad, das so leicht ist, dass die Kids einfach Spaß beim Fahren haben. Diese Räder werden auf dem Markt für Gebrauchträder zum Neupreis weiterverkauft, so begehrt sind sie.
Die spezialisierte Produktstrategie
Doch es kommt natürlich neben der Idee noch etwas anderes hinzu: die Spezialisierung. Woom baut Kinderfahrräder. Fertig. Sie haben eine klare, ganz kleine, aber wichtige Nische gefunden. Und schon gelingt es ihnen, den Radmarkt zu revolutionieren. Merke: Spezialisierung ist beim Gründen eines Unternehmens die absolute Voraussetzung. Der vollkommene, radikale Fokus auf innovative Produktstrategien ist – zumindest am Anfang – der Weg, den ein Gründungsteam gehen muss.
Den Spezialisierungsweg kann das Start-up aber auch mit besonders tollen oder verbesserten Produkten gehen. Specialized hat ein Carbon-Laufrad für knapp 1.000 Euro herausgebracht, ein Super-Rad für Kleinkinder. Ich bin mir sicher, dass es genügend Abnehmer findet. (Wenn ich nicht schon ein Woom für meine Mäuse hätte, wäre ich so ein Kandidat gewesen.) Specialized hat eine Spezialisierung der Spezialisierung geschaffen und ist dabei jedoch seiner Marke treu, Superbikes für die Profis zu bauen. Woom kann diesen Weg nicht gehen, weil es bezahlbare, preiswerte, aber nicht billige Räder für alle macht.
Ein weiteres Beispiel für Spezialisierung und Problemlösung ist unser Start-up QLab. Ich hatte das “Problem”, dass ich im Nachhaltigkeitsbereich unbedingt etwas machen wollte, aber nicht wusste, wo anfangen. Klick machte es erst, als ich begann, Nachhaltigkeit auf New Mobility einzugrenzen und mir klar wurde, dass auch andere Unternehmen möglicherweise nicht wissen, wie man ihr Geschäftsmodell nachhaltig, also C02-neutral, macht. Warum nicht Unternehmen dabei helfen, im Bereich New Mobility neue Geschäftsmodelle zu finden? Gesagt, getan: Nach weniger als 30 Tagen Existenz des Projektes hatten wir den ersten zahlenden Kunden.
Also, für die, die gründen wollen: Sucht euch ein Alltagsproblem, das vielleicht sogar schon gelöst ist, aber das ihr besser lösen könnt. (Kinderfahrräder gab es auch schon, aber Woom macht sie einfach besser.) Dann spezialisiert ihr euch und setzt alles auf eine Karte. Und los! Oh, nicht vergessen: Es bleibt dennoch harte, extrem harte Arbeit.
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