Vor vielen Jahren war ich im Visitor Space Center in Cap Canaveral, um die Helden meiner Kindheit zu bewundern. Im Besucherzentrum stand überall an den Wänden der Satz: Failure is not an option. Jeder, der den Film Apollo 13 mit Tom Hanks gesehen hat, kennt die Szene, in der der Chef der Operation sagt: “We’ve never lost an American in space. We’re sure as hell not going to lose one on my watch. Failure is not an option.” Das ist die Tagline des Films. Im richtigen Leben soll das nie gesagt worden sein, aber der Satz spiegelt den Mythos dieser Mission und hat sich tief in die Seele der Raumfahrt gebrannt.
Danke, Herr Spahn
Heute Morgen hörte ich ein Interview mit Jens Spahn und ich muss ihm “Danke” sagen. Er wird es nicht mitbekommen, aber es ist so: “Danke, lieber Herr Spahn.” Nicht für seine Politik oder seine Maßnahmen. Ich will und kann gar nicht beurteilen, was gerade in Sachen Corona richtig oder falsch läuft. Nein, ich will ihm “Danke” sagen, dafür, dass er in diesem Interview, das er hier gegeben hat, sinngemäß sagt: Wir sollten einmal mehr auf das Schauen, was gerade gelungen ist, anstatt nur auf das, was nicht optimal läuft. Für mich war das heute Morgen wie ein Weckruf, der mich selbst aus der Negativspirale geholt hat. Damit hat er mich wieder an den bei uns im Unternehmen und generell in meinem Leben geltenden Grundsatz erinnert: Worauf man seine Aufmerksamkeit richtet, davon bekommt man mehr.
Auch ich war in den letzten Wochen eher geneigt, an allem herumzunörgeln, was mir gerade nicht passt, als zu sehen, wie gut es eigentlich gerade trotz, vielleicht sogar wegen der Pandemie geht. Tom Hanks, der Kommandant in der Kapsel, sagt in einer anderen Szene: “Wir werden uns nicht die Köpfe einschlagen, nicht für 10 Minuten, denn anschließend sind die Problemen noch immer da.” Genau das ist es. Und Spahn versucht, genau das zu tun, weg vom “Schuldzuweisen” hin zur Lösungsorientierung. Spahn macht damit als Führungskraft genau das, was Dieter Rösner und ich in unserem Buch “Selbstorganisation braucht Führung” zur Kultur des Gelingens geschrieben haben.
Anerkennen, was gut läuft
Natürlich muss man Fehler korrigieren und die Realität sehen, wie sie ist – so gut es eben geht. Doch eine Führungskraft hat zuerst einmal den Job, Zuversicht zu verbreiten und auf das hinzuweisen, was uns zusammen, und nicht, was uns auseinander bringt. Sie, die Leitung, zeigt auf die Erfolge des Teams, stellt sich vor die vielen Menschen und stärkt ihnen den Rücken, in dem sie anerkennt, was gelungen ist, anstatt zu bemängeln, was schief läuft, und auf dem Missstand herumzukauen.
Es gehört in der agilen Welt zum Kerngeschäft der Führung, zu beachten und zu bemerken, dass etwas zu verbessern ist. Aber wir meckern oder jammern dann nicht herum, sondern stellen den Missstand so schnell wie möglich ab. Und dann freuen wir uns darüber, dass es gelungen ist, ihn abzustellen. Ein Beispiel ist Spahns Aussage: Sein Fehler sei gewesen, zu sagen, dass am 1. März flächendeckende Test verfügbar sein würden. Er hätte stattdessen “Anfang März” sagen sollen. Denn so sieht niemand, dass innerhalb von zwei Wochen 10.000 Teststraßen in Deutschland aufgebaut worden sind. Klar, jetzt kann irgendein Besserwisser wie ich sagen: Jedes Dorf, jede Stadt brauchte eine Teststraße. Dann sind 10.000 wahrscheinlich viel zu wenig. Aber es bleibt immer noch eine Leistung, die – und da hat er Recht – unsere Anerkennung verdient.
Die Kultur des Gelingens
Wir hier in Deutschland und Österreich haben es leider in unserer Kultur, die Dinge gerne negativ zu sehen und die Fehler zu bewerten – und sofort ins Nörgeln und Besserwissen zu verfallen, anstatt uns an jene Dinge zu erinnern und an jenen anzuhalten, die uns wachsen lassen. Letzteres erzeugt höhere Motivation, höhere Bereitschaft mitzumachen. Da niemand einen Missstand bewusst herbeiführt oder aufrechterhält, wird mit dem Fokus auf das, was gut läuft, über die Zeit sowieso das Bestmögliche erreicht werden.
Genau darum geht es beim agilen Mindset: die Welt so zu sehen, wie sie ist. Dann schauen, ob man schon da ist, wo man hinwollte, und wenn nicht, wieder objektiv und mit allem was man hat, erneut aufs Ziel hinarbeiten. Ich wünsche uns allen, ein wenig mehr Zuversicht über die Osterfeiertage. Besinnen wir uns doch alle auf das, was gerade funktioniert und arbeiten wir alle systematisch daran, dass wir auf dem Weg zu unseren Zielen ein wenig vorankommen – was auch immer das für uns bedeutet. Und ja: Oft geht es langsamer, als wir es gerne hätten. Oft ist der Weg zum Ziel versperrt. Eine Virusmutation tritt auf und wir sind wieder weit weg vom Ziel. Ein Motor explodiert, ein Reifen verliert die Luft, oder die Bremsleitung bricht. Letzteres ist mir am ersten Tag meiner 1.700-Kilometer-Radfahrt quer durch Deutschland passiert.
Doch aufzugeben, bevor alle Möglichkeiten ausgenutzt sind und das Ziel erreicht ist, ist keine Option. Failure is not an option!
Titelbild: Miguel A. Amutio, Unsplash License