Die Fähigkeit, wieder aufzustehen – die Pervertierung der Resilienz

Das neueste Modewort ist Resilienz. Schon (Schul-)Kinder sollen resilient werden. Mitarbeitende sollen resilient sein, damit sie auf Veränderungen leichter reagieren können. Sogar junge Führungskräfte sollen durch Führungsseminare resilient gegen die existierende Führung eines Konzerns gemacht werden, damit sie später, wenn sie dran sind, den Laden endlich anders führen können. Das klingt dann in einem Artikel beispielsweise so:

“Resiliente Mitarbeiter zeigen nicht nur in Krisenzeiten Stärke und Gelassenheit, sondern sind im Arbeitsalltag insgesamt stabiler und belastbarer.”

Aus: “Die Resilienz stärken” von Birgit Mauroner

Je länger ich darüber nachdenke, desto pervertierter ist in meinen Augen dieser Ansatz. Resilienz als Fähigkeit des Einzelnen “wieder aufzustehen” nun zu nutzen, um strukturelle Gewalt nicht angehen zu müssen, ist nichts anders als eine Form der Ausbeutung des Einzelnen. Es ist eine Perversion eines auf den ersten Blick sinnvollen Konzeptes. Es leuchtet zunächst ein, dass es eine nützliche Fähigkeit ist, in schwierigen Verhältnissen nicht gleich zusammenzubrechen und Krisen bewältigen zu können. Doch wer fordert das? Politiker, Eltern, Lehr- und Führungskräfte. Die strukturell per se Mächtigeren reden den per se Schwächeren ein, sie müssten an ihrer Resilienz arbeiten. Artikel, wie der zitierte, machen klar: Du hast als Elternteil versagt, wenn du deinem Kind nicht beibringst, mit schwierigen Situationen umzugehen. Oder du als Mitarbeiterin bist eben nicht flexibel und resilient genug, wenn du mit der Führung in deinem Unternehmen nicht klarkommst.

“Dann sind sie eben nicht resilient genug”

Heute morgen lief ein Beitrag im Deutschlandfunk über traumatisierte Kinder in Flüchtlingslagern. Die Kinder haben teilweise Suizide überlebt oder haben suizidäre Gedanken, essen nicht, machen wieder in die Hose. Auch in diesem Umfeld könnte man sagen: Tja, die Kids sind eben nicht resilient genug. An diesem Beispiel will ich zeigen, wie absurd diese Vorstellung und Pervertierung dieses Konzepts ist. Nein – die Kinder leiden, die Umstände sind durch Menschen gemacht und könnten anders sein. Führung in Unternehmen könnte anders sein, wie es Simon Sinek auch immer wieder in “Leaders Eat Last” betont. Anstatt Menschen krank zu machen und ihnen, den Mitarbeitenden, dann einzureden, sie seien nicht resilient genug, könnten sie sie gesund machen. Schule und Erziehung könnte positive Effekte auf Kinder haben anstatt so verheerender, dass wir darüber reden müssen, Kinder resilient zu machen.

Menschen müssen nicht leiden

Ja – hier spricht der Soziologe in mir, der noch immer die Verhältnisse sieht, unter denen Menschen unverschuldet leiden. Diese Verhältnisse müssen wir ändern, damit Menschen nicht leiden müssen. Denn wie immer, wenn ein an sich brauchbarer Begriff verdreht wird, leidet das Individuum weiter. Ihm wird jetzt auch noch suggeriert, es sei selbst schuld. Damit wird der Einzelne noch weiter entwürdigt. Er wird noch mehr als Ding (im Sinne Gerald Hüthers), anstatt als ein fühlendes, autonomes Individuum angesehen.

Bild: Pexels License, Yan Krukov