Deine Überzeugungen tun dir nicht mehr gut

Ernährungsmythen, Trainingsmythen, ja sogar die Weise, wie wir Ackerbau betreiben, sind überholt – lasst uns doch die neuen Erkenntnisse einsetzen, statt sie zu verdrängen.

“Das iPhone nach zwei Jahren zu ersetzen, ist völlig normal. Die eigenen Einstellungen zu hinterfragen, ist für viele hingegen das Unnormalste dieser Welt.”

Als ich diese Sätze vor Kurzem las, kamen mir in der Sekunde meine veralteten Ansichten in den Sinn. Ich hatte diese in letzter Zeit verändert, weil ich sie als Glaubenssätze aus der Vergangenheit ablegen konnte. Ein paar Beispiele:

1. Das böse Fett: Butter, fettes Fleisch und Sahne sind schlecht für den Körper.

Diese Überzeugung setzte sich in den 80er-Jahren durch. Ich begann, die Butter auf dem Brot wegzulassen und wir aßen alle weniger fettes Fleisch. Wenn schon Fett auf den Tisch kam, dann nur Öle – Butter war verpönt. Heute wissen wir, dass diese Ansichten falsch sind: Butter oder Fischöle sind tatsächlich wesentlich gesünder als die meisten Öle aus Samen (z. B. Raps, Sonnenblume etc.). Die gesunden Omega-3-Fettsäuren sind in den tierischen Fetten enthalten. Heißt im Umkehrschluss: Tierische Fette sind nichts Verwerfliches, sondern sogar zu bevorzugen, solange die Tiere Heu oder Gras fressen, statt Mais oder anderes Getreide. Und auch das verteufelte Cholesterin ist nicht das Problem. Es sind die Kohlenhydrate, die wir ständig alle essen: Pasta, Pizza, Kuchen, Brot und vor allem Zucker (auch Honig oder Kokoszucker). Uns muss klar sein: Raffinierter Zucker, so wohlschmeckend und für viele von uns nicht wegzudenken, ist ein Gift.

2. Mehrere Mahlzeiten pro Tag essen – am besten fünf!

Wer kennt sie nicht, die Binsenweisheit: Esse morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein König und abends wie ein Bettelmann. Dazwischen unbedingt alle paar Stunden ein paar Snacks dazwischenschieben, damit die „Maschine“ Körper weiter ölt. Alles Quatsch! Jahre des Irrglaubens beginnen langsam zu wanken. Immerhin, eine ganze Industrie profitierte davon. Hochverarbeitete Industrieprodukte, die man nicht mehr Nahrungsmittel nennen kann, sind die Folge. Low Carb ist für den Körper gesünder: Mehr Eiweiß und gesunde Fette anstelle von Kohlenhydraten. Außerdem: seltener essen – am besten einmal am Tag über eine kurze Zeitspanne hinweg. Fasten und Essen in Kombination ist für unseren Körper wesentlich bekömmlicher als ständiges Essen. Der Insulinspiegel sinkt nur, wenn man nicht isst. Nur dann können die eigenen Fettdepots verbrannt werden und wir verhindern auf lange Sicht Diabetes Typ 2.

3. Wer Ausdauersport betreibt, sollte ständig Kohlenhydrate mampfen.

Spezielle Gels, Snacks, Bananen – alles ideal, um den Körper auf die anstehende (Ausdauer-)Sporteinheit vorzubereiten: Dieses weit verbreitete Mantra wird nicht nur von der Industrie gepredigt, sondern auch von den vielen Sportärzt:innen. Also lernen Marathonläufer:innen, wie sie während eines Laufes essen können. Ist es nicht verrückt, dass das sogar Trainingsbücher näher ausführen? Die Frage muss doch sein: Warum will der Körper nicht essen, während er lange läuft? Warum fällt das vielen so schwer, wenn es doch angeblich gut für den Körper ist? Tja: Die Sportmediziner:innen sagen es, das ist eben so.

Wer seinen Körper noch intakt hat und nicht zum insulinresistenten Kohlenhydrat-Junky mutiert ist, wird völlig ohne Essen auskommen und die eigenen Fettdepots während des Laufes oder der langen Radtour angreifen und nutzen. Andernfalls helfen nur monatelanges Intervallfasten und das konsequente Weglassen der Kohlenhydrate bzw. Auffüllen mit gutem Fett (Nüsse, griechischer Joghurt, viel Olivenöl im Salat). So müssen wir dem Körper erst wieder beibringen, die eigenen Körperfettdepots anzugreifen, anstatt ständig zu essen. Und das Beste: Die Ergebnisse von einigen, noch viel zu wenigen Untersuchungen zeigen: Diese Sportler:innen sind effektiver.

Unsere Identitäten hängen nicht von dem ab, was wir glauben.

Ernährungsmythen gibt es zuhauf, aber auch andere Beispiele beschäftigen mich aktuell stark. Wir Menschen essen nicht nur, was uns die Industrie predigt. Wir zerstören auch die Grundlage, auf der die meisten Nahrungsmittel wachsen: Böden. In den 80er- und 90er-Jahren startete die Biolandwirtschaft langsam, zunächst mit viel Widerstand von allen Seiten. Heute ist “bio” nicht nur akzeptiert, sondern Verbraucher:innen sind bereit, dafür zu zahlen.

Der nächste Trend kündigt sich bereits an: die Permakultur. Hierbei geht es nicht nur darum, die Pestizide wegzulassen und zu überlegen, wie die gleichen Produkte (Weizen, Roggen, Hafer, Mais, Linsen, Rüben etc.) zwar biologisch, aber doch mit dem gleichen Arbeitseinsatz angebaut werden. Sie schließt darüber hinaus mit ein, dass wir Ökosysteme auf den Ackerflächen gestalten. Systeme, die Nahrungsmittel im Überfluss für uns erzeugen, die viel bekömmlicher für uns sind, die die Natur schonen und die Artenvielfalt erhalten und fördern.

Unsere Gesellschaft ist in einem kontinuierlichen Umdenk- und Lernprozess – verrückt ist nur die Geschwindigkeit, mit der wir alle beginnen müssen, zu lernen. Die Erkenntnisse darüber, wie die Dinge wirklich sind, überholen sich. Und was wir morgen über sie denken, wird vermutlich etwas anderes sein als das, was wir gestern darüber dachten. Das geht nur, wenn wir unser Wissen nicht mit uns gleichsetzen. Wenn wir unsere Identitäten nicht an dem festmachen, was wir zu wissen glauben. Wir sind keine Vegetarier:innen, wir sind keine Bio-Landwirt:innen und wir sind keine Intervallfaster:innen: Wir nutzen unsere temporären Erkenntnisse für unsere Ziele. Diese Haltung können wir nur erreichen, wenn wir vermeiden, unsere Identität an unsere Überzeugungen zu koppeln.

Wie wäre es, wenn wir unsere Überzeugungen auch nur immer als eine Hypothese, die bis zu ihrer Falsifikation gilt, betrachteten? Dann können wir uns ständig neuer Ideen und Methoden bedienen, sie für uns einsetzen, überprüfen, ob sie uns guttun und müssten nicht bei jeder Neuerung in den Widerstand gehen. Im Gegenteil: Wir würden kontinuierlich neues Wissen integrieren und unser Handeln flexibel anpassen. Das macht uns Primaten doch aus: Wir passen uns an – vielleicht gelingt dieses Anpassen noch viel öfter, sodass wir tatsächlich zu lernenden Wesen werden.

Titelbild: Brooke Lark, Unsplash