Wie kann unsere Landwirtschaft das Artensterben aufhalten?

Vor zwei Jahren bin ich mit dem Fahrrad quer durch Frankreich, Belgien und Deutschland gefahren. Die Radwege waren wunderschön, doch mich beschlich ein komisches Gefühl: Ich fuhr durch die Landschaft, weit entfernt von großen Autostraßen und doch sah alles gerade und betoniert aus. Ob ich an einem Kanal vorbeikam oder dann später durch die Weingärten fuhr, durch Saarbrücken, oder den Inn entlang – überall das gleiche Bild: monotone Agrarlandschaft. Eine ewige Einöde aus Feldern und noch mehr Feldern, nur vereinzelt mal ein Tier.

Vielleicht lag es daran, dass ich vor einiger Zeit über die Initiative des Unternehmens Patagonia las, die sich u. a. für einen gesunden Boden sowie eine Landwirtschaft im Sinne der Artenvielfalt einsetzt, dass ich während dieser sechs Tage, in denen ich 1200 Kilometer zurücklegte, ins Grübeln kam.

Irgendetwas stimmte doch nicht. Ackerbau sieht in den Bilderbüchern meiner Kinder so aus: riesige Felder, auf denen Getreide angebaut wird, und der Traktor, der den Pflug hinter sich herzieht. Dazu Stroh, das in großen runden Ballen auf den Feldern herumliegt. Zwar hatte ich schon vor mehr als 30 Jahren gehört, dass die Bauern mehr Hecken anlegen sollten und mehr Platz für Tiere lassen, doch das war weit weg und es sah ja auch so aus, als würden sie das tun.

Böden sind die Grundlage unserer Ernährung

Das Gespräch mit Dirk Osada (Kreislauf-Landwirtschaft) öffnete mir die Augen: Der Boden macht unsere Lebensmittel. Alle, die selbst Tomaten in ihren Gärten anbauen, kennen den Unterschied im Geschmack: In Nährstofflösungen gewachsenes Gemüse schmeckt eben nicht, weil der (gesunde und unbehandelte) Boden essenziell für die Textur des Essens ist. Sterneköche wissen das übrigens und beginnen, Lebensmittel nach ihren Vorgaben anbauen zu lassen, manche haben sogar eigene Gärten. Hierzu empfehle ich die wunderbare Reihe von “Chefs Table” auf Netflix (etwa die Folge mit Sean Brock, in der er zeigt, wie wichtig es ist, seine eigenen Bohnen anzubauen).

Ein Großteil unserer Nahrung wird auf einem Boden erzeugt, was bedeutet, dass er in direktem Zusammenhang mit der Qualität unserer Lebensmittel steht. Der Boden lebt, Millionen von Organismen wachsen darin. Doch die traditionelle Landwirtschaft hat dafür keinen Sinn. Der Pflug killt den Boden und zugesetzter Phospor und Stickstoff tun ihr Übriges. Zudem bringt Glyphosat nicht nur die Bienen um – auch der Boden und alle Mikroorganismen darin gehen zugrunde. So werden die natürlichen Kreisläufe schwerwiegend gestört.

Permakultur führt uns zu einer anderen Landwirtschaft

Im Grunde ist eine Ackerfläche ein steriles Stück Erde, das mit Hilfe von Düngern und viel Arbeit, so ähnlich wie im Film “The Martian”, ständig wieder zum Leben erweckt werden muss. Hier muss Matt Damon die Marserde erst fruchtbar machen, indem er Mikroorganismen hinzufügt. Das bedeutet: ein gesunder Boden und damit mehr Vitamine und andere Nährstoffe in Lebensmitteln.

Doch neben der konventionellen Landwirtschaft und der konventionellen Bio-Landwirtschaft, die nicht viel besser ist, gibt es einen dritten, völlig anderen Ansatz: die Permakultur. Zumindest glaubt man auf den ersten Blick, dass Permakultur etwas mit Gartenbau und Landwirtschaft zu tun hat. Die meisten Beispiele weisen auch in diese Richtung. Permakultur wurde von Bill Mollison und David Holmgreen in Australien entwickelt. Darüber schreibt Jonas Gampe: „Ihre Idee, eine (regenerative Landwirtschaft) zu erreichen, war grundsätzlich eigentlich ziemlich simpel und offensichtlich: die Grundstrukturen als vielseitiges Ökosystem anlegen, aber eben vor allem aus essbaren Arten, um auch die landwirtschaftliche Funktion weiterhin voll zu gewährleisten. Also beispielsweise einen bunten Mischwald, der vor allem aus essbaren Pflanzen besteht.” Doch die Permakultur geht noch viel weiter. Sie fördert eine ökologische, soziale und regenerative Wirtschaft. Kein Wunder, dass die Prinzipien-Sets der Permakultur mich durchaus an die der agilen Szene erinnern:

  1. Beobachte und interagiere
  2. Sammle und speichere Energie
  3. Erziele einen Ertrag
  4. Nutze Selbstregulation und akzeptiere Feedback
  5. Nutze und schätze erneuerbare Energien und Dienstleistungen
  6. Produziere keinen Abfall
  7. Entwirf vom Muster hin zum Detail
  8. Integriere eher, anstatt zu trennen
  9. Nutze kleine und langsame Lösungen
  10. Nutze und schätze Vielfalt
  11. Nutze Randzonen und schätze das Marginale
  12. Nutze Veränderungen und reagiere auf sie kreativ

Permakultur umfasst also Prinzipien und Leitsätze, um neue Lebensräume und -weisen voranzutreiben, die weit über die Landwirtschaft hinausgehen, sie aber gleichzeitig miteinschließen. Die Idee der Permakultur für die Landwirtschaft haben u. a. zwei Autoren weitergedacht: Jonas Gampe und Mark Shepard.

Der Autor Jonas Gampe, auch Permakultur-Landschaftsgärtner und selbst Permakultur-Gärtner, macht in seinem Buch „Letzter Ausweg Permakultur“ klar, dass wir einen völlig anderen Weg brauchen, um mit Hilfe der Landwirtschaft die Klimaziele zu erreichen:

„Die Landwirtschaft hat einen immensen Einfluss. Auf unser Klima, auf Hungersnöte, auf die Trinkwasserversorgung, auf das Artensterben. Und doch: Eine grundlegende Änderung der Landwirtschaft versandet oft in der vagen Forderung nach etwas ökologischerem Anbau. Dabei hat die Landwirtschaft ein riesiges Potenzial. Genauer gesagt: eine Umgestaltung der landwirtschaftlichen Grundstrukturen.“

Jonas Gampe in “Letzer Ausweg Permakultur”

Mit den Ideen der Permakultur könnten wir Agroforst-Systeme und andere Gestaltungelemente aufbauen, um das Artensterben zu verlangsamen und Extremwetter-Ereignisse zu verhindern. Wir brauchen eine völlig andere Art des Ackerbaus, wenn wir die Klimakrise in den Griff bekommen und die Menschheit ernähren wollen. So beschreibt es auch Mark Shepard in “Restoration Agriculture”:

“Perhaps we should ask ourselves, why do we have farms? Why is there agriculture? Isn’t it so that people can eat and be healthy and nourished? If that is the case, then wouldn’t it make sense for us to design an agricultural system that does exactly that instead of one where big farmers fight against little farmers and corporate hierarchies pass legislation making illegal any kind of production models other than the ones they economically control? Doesn’t it make sense for us as civil (or even uncivil) human beings to all agree to figure out how to produce adequate quantities of the most nourishing food grown in ecological systems that are sustainable in the long-term?”

Mark Shepard

Und das, nachdem er auf den 200 Seiten vorher erklärt hat, warum das existierende Landwirtschaftssystem all das nicht leisten kann. Beide Autoren zeigen dann den Ausweg: Ackerbau durch Systeme, in denen wir eben nicht Getreide anbauen, sondern mehrjährige Pflanzen. Auf diese Weise sparen wir Arbeit ein und produzieren Nahrung, die nicht zu mehr als 50 Prozent aus Kohlenhydraten besteht. Diese sind die Basis der industriellen Lebensmittel und verantwortlich für das metabolische Syndrom, wie die neuere Medizin weiß.

Es gibt ihn also schon, den Paradigmenwechsel. Einen Ackerbau, der den Boden schont und die Fläche völlig anders bewirtschaftet, dabei weniger arbeitsintensiv und energiesparender ist, mehr Biomasse (gleich Profit) aus dem Acker herausholt und Lebensmittel produziert, die uns Menschen besser ernähren. Der aber vor allem die Grundlage einer Gesellschaft wäre, die tatsächlich die Klimakrise und die Biodiversitätskrise (die laut Frauke Fischer viel bedrohlicher ist) in den Griff bekommen will. Krisen, die wir u.a. durch die Landwirtschaft mitbefeuert haben. Der Pfad in eine andere Landwirtschaft ist steinig und erfordert Ausdauer – mindestens eine ganze Generation. Starten wir jetzt damit und denken an die Lebensgrundlage unserer Kinder und Enkel.  


Meine Literaturempfehlungen für euch

  • Wer mehr über die wissenschaftlich genauen Hintergründe wissen will, wie viel fruchtbarer Boden zum Klimaschutz beiträgt, dem empfehle ich diese Case Study: Rosenzweig, W., et al. “Reversing climate change through sustainable food: Patagonia provisions attempts to scale a “Big Wall”.” The Berkeley-Haas Case Series (2017).
  • Gampe, Jonas. Letzter Ausweg: Permakultur: So krempeln wir unsere Landwirtschaft um und sichern unser Überleben. Konzepte, Pläne, Hintergrundwissen.
  • Shepard, Mark. Restoration Agriculture: Real-World Permaculture for Farmers (S.197). Acres U.S.A.
  • Robert Lustigs Metabolical

Titelbild: Randy Fath, Unsplash