Wir brauchen den Paradigmenwechsel jetzt

Deutlicher als es der IPCC Report von 2021 aussagt, geht es nicht mehr. Die Erwärmung des Klimas ist ein Fakt. Dass sie von Menschen gemacht wurde auch. Dass wir den Klimawandel nur noch Eindämmen können, ist auch klar, und dass dieser Klimawandel unseren Wohlstand, den Weltfrieden und unser aller Leben bedroht, ist auch vollkommen klar.

Quelle: IPCC, 2021

Die Schwerfälligkeit einer ganzen Generation

Als ich vor mehr als 25 Jahren auf der Rheinbrücke zwischen Mainz und Wiesbaden gegen die Verschmutzung des Rheins demonstrierte und einer Mahnwache angehörte, war mir nicht klar, dass wir schon damals noch viel intensiver für den Erhalt unserer Umwelt hätten eintreten müssen. Ja, sicher, ich hatte den Club of Rome gelesen und mich über die Ungerechtigkeiten auf der Welt informiert, doch die Tragweite dessen, was unsere Industriegesellschaft dem Planeten wirklich antut, die war mir nicht bewusst.

Bewusst war mir auch nicht, dass nicht der Planet unter uns leidet, sondern wir selbst. Wir Menschen sind die Ursache dafür, dass wir es uns selbst schwer machen. Und wo auch immer ich in den letzten Monaten hinschaute, sah ich das. Dass wir Menschen an uns selbst leiden, ist mir durch ein Interview mit Dr. Robert Lustig klar geworden. Er wurde berühmt durch seinen Vortrag „Sugar: The bitter truth“. Nachdem ich ihn gesehen hatte, verzichtete auch ich einmal auf Zucker. Ja – meine Pfunde purzelten ein bisschen, doch die kamen wieder. Warum mache ich diesen Ausflug in die Medizin? Weil Robert Lustig etwas Wichtiges gesagt hat: Es dauert immer eine Generation lang, bis sich ein neues Denken durchsetzt, also die Generation des alten Denkens ausgestorben ist. Genau das hat Thomas Kuhn in seinem berühmten Buch „Struktur der wissenschaftlichen Revolution“ bereits konstatiert und als Paradigmenwechsel bezeichnet.

Als es vor 40 Jahren hieß, Butter sei schlecht, hat eine ganze Generation das geglaubt. Dann stand vor einigen Jahren im Time-Magazine-Artikel “Eat Butter“, dass die Folgen dieser falschen Behauptung die US-Amerikaner:innen nicht gesünder, sondern vermutlich kränker und übergewichtiger gemacht hat. Nun wird es wieder eine ganze Generation lang dauern, um den Quatsch, den auch ich mal geglaubt habe, zu entlernen. Leider.

Werft die alten Energie-Paradigmen über Bord

Wir haben aber keine Zeit, auf den Generationenwechsel zu warten, wenn es um das Klima geht. Der IPCC Report 2021 macht es so deutlich wie nie: Unsere Lebensgrundlage wird sich in Zukunft verändern – weil wir die letzten 200 Jahre auf fossile Treibstoffe, also auf Öl und Gas, gesetzt haben. Sogar unser Dünger wird aus Erdgas gemacht. Wenn wir Gemüse essen, essen wir also die Energie aus dem Erdgas. Könnte es sein, dass wir auch deshalb noch mehr CO2 in der Luft haben? Natürlich. All das ist völliger Wahnsinn, wie wir jetzt wissen.

Dabei gibt es bereits die Alternativen. Wir könnten auf eine solarbasierte Wirtschaft umstellen. In der Wirtschaft nennt man das in der Regel Investition. Wenn der Return on Investment positiv ist, dann kostet der Umstieg kein Geld, sondern bringt etwas: höhere Renten, bessere Gesundheit, also weniger Gesundheitskosten, und vor allem eine viel bessere Binnenökonomie, denn dann muss man die Rohstoffe (Energie) nicht importieren. Das ist dann gut für die Wirtschaftsleistung und die eigene Währung – in unserem Fall den Euro gegenüber dem Dollar.

All das würde aber erfordern, dass wir einige Paradigmen über Bord werfen:

  • Strom kommt aus der Steckdose? Nein, wir holen ihn vom Dach.
  • Wir müssen ein Auto tanken? Nein, wir laden es zuhause mit dem eigenen Strom auf.
  • Der Privathaushalt ist ein Stromkonsument? Nein, er ist ein Stromlieferant: Das ist die Dezentralisierung und Demokratisierung der Energieproduktion.
  • Wir subventionieren die Landwirtschaft, indem wir die Ölpreise niedrig halten? Nein, wir fördern die Nutzung des Bodens als Agroforst oder mit permakulturartigen Verfahren.

Ändert eure Gewohnheiten

All das ist kein Verlust, sondern ein Gewinn. Klingt verrückt, doch Paradigmenwechsel zeichnen sich dadurch aus, dass etwas einfacher statt komplizierter wird. Und effektiver. Ja, vielleicht muss ich ein wenig anders handeln. Vielleicht werde ich die Waschmaschine mittags statt nachts laufen lassen, weil ich nicht mehr billigeren Nachtstrom nutze, sondern den aus der PV-Anlage.

Wir haben keine Zeit, zu warten, bis die Alten sterben. Sorry, wenn ich es so hart sage, aber wir leben in einer Gesellschaft, in der die ältere Generation die jüngere ausbeutet. Das ist das Problem der Klimakrise: die alten Essgewohnheiten, die Idee, ein Auto brauche Benzin oder jedenfalls eine ausreichende Reichweite, um in den Urlaub fahren zu können. Wir brauchen einen großen Kofferraum, in dem wir kistenweise Wasser transportieren können. All diese Ideen sind nicht rational – sie machen uns und unsere Umwelt krank. Wir müssen nur das Paradigma wechseln und schon werden die Lösungen einfach und für alle glasklar.

Im Herbst stehen in Deutschland Bundestagswahlen an. Informiert euch doch im ersten Schritt mal, was die Parteien in der Klimapolitik planen. Machen wir die Wahl zur Klimawahl.

Ich beziehe mich auf den Bericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change):
IPCC, 2021: Summary for Policymakers. In: Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [MassonDelmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S. L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M. I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J. B. R. Matthews, T. K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu and B. Zhou (eds.)]. Cambridge University Press. In Press.

Titelbild: Miikka Luotio, Unsplash