Wie funktioniert Schulunterricht auf Augenhöhe? Das Scrum4Schools-Gespräch

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„Man ist so lange in einem Schulsystem. Aber das, was man wirklich fürs Leben braucht, kommt immer erst so spät.“

Vor einigen Jahren haben wir in meinem Unternehmen borisgloger consulting die Scrum-inspirierte Lernmethode Scrum4Schools ins Leben gerufen, um Schülerinnen und Schüler dabei zu unterstützen, selbstorganisiert zu lernen. Es begann als eine Pro-bono-Initiative unserer Beraterinnen und Berater. Seit dem letzten Herbst haben wir zwei neue Kolleginnen in unserer Mitte, die Scrum4Schools voranbringen: Laura Vollmann-Popovic und Anna Czerny.

Meine Gäste: Anna Czerny & Laura Vollmann-Popovic

Anna Czerny und Laura Vollmann-Popovic sind unsere beiden Programmmanagerinnen für Scrum4Schools, Anna in Österreich und Laura in Deutschland. Laura hat unter anderem in der politischen Bildung und der Friedenserziehung im interkulturellen Kontext gearbeitet. Seit vielen Jahren arbeitet sie mit Schulen zusammen und unterstützt Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerkräfte dabei, Bildungsprozesse aktiv mitzugestalten. Anna hat einen ganz anderen Hintergrund: Nach vielen Jahren im Marketing hat sie in die Personalentwicklung gewechselt und aus dieser Perspektive beobachtet, wie Menschen lernen und sich entwickeln. Während ihrer Ausbildungen zur Trainerin und zum Coach lernte sie, wie Lernen funktioniert und Anna kam unweigerlich die Frage in den Sinn: „Wenn der Mensch so lernt, warum ist Schule dann so anders?“

Das sind die Fragen, die ihr euch zu Scrum4Schools stellen solltet und die im Podcast beantwortet werden:

Machen die Kinder wirklich Scrum?

Ja und nein. Scrum4Schools ist an Scrum angelehnt, aber wie alle agilen Frameworks wird es nicht einfach kopiert, sondern an die realen Umstände angepasst. Tatsächlich verwenden wir im Scrum4Schools-Framework eigene agile Begriffe. Die Lerntafel ist beispielsweise an das Kanban-Board angelehnt. Der Wert „Commitment“ aus Scrum ist mit Selbstverpflichtung übersetzt. Anna hat für alle diese Begriffe den „Agilen Baum“ für die Schule aufgezeichnet.

Die vielleicht entscheidendste Ähnlichkeit zwischen Scrum und Scrum4Schools ist das Mindset. Das betrifft einerseits die Schülerinnen und Schüler, die z. B. erst lernen, dass Feedback etwas Positives sein kann, das ihnen hilft, sich zu verbessern. Stellt euch vor: Anstatt euch wochenlang auf eine Präsentation vorzubereiten, auf die ihr dann eine Fünf kassiert, würdet ihr Zwischenergebnisse präsentieren und laufend konstruktives Feedback von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern und der Lehrkraft einholen. Bei welcher Methode lernen die Kids wohl mehr und motivierter?

Andererseits müssen die Lehrkräfte alte Denk- und Verhaltensmuster überwinden: Interessanterweise finden viele von ihnen Scrum4Schools richtig toll, haben aber gleichzeitig die Sorge, dass ihre Klassen das nicht „können“. „Die erwarten von uns, dass wir ihnen im Frontalunterricht erklären, wie die Dinge funktionieren und möchten das Wissen lieber „konsumieren“, hören Laura und Anna regelmäßig von Lehrkräften. Das ist doch paradox: Durch die Art, wie wir an den Schulen lehren, werden die Kinder von der ersten Klasse an darauf trainiert, „Wissen“ zu konsumieren. Natürlich dauert es ein wenig, und als Lehrkraft muss man wohl auch erst dieses Denkmuster überwinden, bis die Schülerinnen und Schüler selbstorganisiert arbeiten können. Nichts anderes erleben wir in Unternehmen: Managerinnen und Manager, die uns sagen, dass ihre Mitarbeitenden keine Lust auf Selbstorganisation haben. Bei manchen ist das vielleicht wirklich so, bei manchen dauert es einfach länger. Aber die meisten finden es super.

Geht das Lernen mit Scrum4Schools schneller?

Das ist tatsächlich nicht die Frage, die ihr euch stellen solltet, aber sie liegt nahe: Ja, vielleicht lernen die Kinder schneller, aber das ist auch erstmal egal. Vor allem lernen sie aber motivierter und deshalb effektiver. Eigentlich ist es einfach: Wenn man Schülerinnen und Schülern beibringt, sich selbst etwas zu erarbeiten, anstatt still dazusitzen und Arbeitsblätter auszufüllen, dann lernen sie auf lange Sicht wahrscheinlich sogar schneller, weil sie nicht so viel Energie aufwenden müssen, um gegen ihre eigene Demotivation anzukämpfen.

Bedeutet Selbstorganisation für Kinder dasselbe wie für Erwachsene?

Ja! Ihr werdet lachen, aber manche Kinder sind sogar besser darin, sich selbst zu organisieren, als so manche Erwachsenen – wenn die Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter immer wieder dafür sorgen, dass ihnen der Rahmen klar ist: Freiheit bedeutet auch Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen.

Warum sollten Kinder schon lernen, sich selbst zu organisieren? Damit sie zu Erwachsenen heranwachsen, die sich einbringen können und wollen, die Eigeninitiative haben, die motiviert sind, auf ein Ziel hinzuarbeiten, weil sie gelernt haben, dass sie das können. Selbstorganisation ist also der Weg und das Ziel. Was meine Kolleginnen und ich in den letzten Monaten immer wieder gehört haben: Kinder und Jugendliche, die das selbstorganisierte Lernen schon gewohnt waren, taten sich mit der Umstellung auf den Distanzunterricht viel leichter. Und in der nahen Zukunft wird es ihnen helfen, mutig die großen Herausforderungen unserer Zeit anzugehen, wie Klimawandel und Ressourcenknappheit.

Was machen die Lehrkräfte, während die Schülerinnen und Schüler selbstorganisiert lernen?

Kinder und Jugendliche lernen mit Scrum4Schools, selbständig zu lernen, einander zu unterstützen und voneinander zu lernen, zu reflektieren und einander Feedback zu geben. Die Lehrkräfte haben in gewisser Hinsicht weniger zu tun, oder mehr, je nachdem, wie viel Arbeit sie sonst in ihren Unterricht stecken würden. Also: Einerseits machen die Schülerinnen und Schüler alles selber und kommen nur dann zu ihrem „“Lerncoach“, wenn sie Unterstützung wollen. Diese müssen aber andererseits erst einmal selbst lernen, wie Scrum4Schools funktioniert (dafür gibt es natürlich ein passendes Training von uns) und dann ist es ihre Aufgabe, immer wieder den Rahmen zu schaffen, damit die Schülerteams selbstorganisiert arbeiten können. Wenn die Schülerinnen und Schüler das hinkriegen, dann spüren sie ihre Selbstwirksamkeit. Und die Lerncoaches haben mehr Zeit, um denjenigen, die punktuell Unterstützung brauchen, wirklich zu helfen.

Die stellvertretende Schulleiterin der ISG Süd Silke Henningsen hat Scrum4Schools in diesem Interview mit einer Rucksackreise verglichen. Wer eher der All-inclusive-Typ ist und das Abenteuer scheut, sollte die Finger von Scrum4Schools lassen.

Ist das denn nachhaltig?

Wieder ganz entschieden: Ja! Anna erzählt von einem Lehrer, der mit seiner Klasse Scrum4Schools in einem Projekt ausprobiert hat. Die Schülerinnen und Schüler lernten, motivierter und autonomer zu arbeiten. Das bemerkten auch die Kolleginnen und Kollegen dieses Lehrers, die selbst nicht mit Scrum4Schools arbeiteten. Verwundert fragten sie den Kollegen: Was hast du mit ihnen gemacht?

Also ja, wenn Scrum4Schools funktioniert, dann hält die Wirkung an. Denn es ist nicht so sehr darauf ausgerichtet, dass die Schülerinnen und Schüler genau den Lernstoff beherrschen, der gerade auf dem Plan steht (dafür brauchen sie kein Scrum4Schools, da reicht vermutlich schon eine engagierte Lehrkraft), sondern dass sie langfristig in der Lage sind, sich eigene Lernziele zu setzen und diese zu erreichen.  

Ist das Arbeiten in selbstorganisierten Teams in den Schulen denn wirklich neu?

Nein, zum Glück nicht. In vielen Grundschulen lernen die Kinder schon, so zu arbeiten. Seltsamerweise scheint hier etwas auf dem Weg in die weiterführenden Schulen verloren zu gehen. Das hat zumindest Laura im Gespräch mit Lehrkräften festgestellt.

Wir behaupten auch gar nicht, das Rad neu erfunden zu haben: Diverse reformpädagogische Schulen gehen mit ihren Konzepten bereits in eine ähnliche Richtung. Mit Scrum4Schools gehen wir aber nicht den Weg über ein Schulkonzept (zumindest noch nicht), sondern über ein Projekt. Das hat den Vorteil, dass jede Schule – wirklich jede – Scrum4Schools ausprobieren kann, um ihren Schülerinnen und Schülern mehr Freiheit und mehr Verantwortung für das eigene Lernen zu ermöglichen.

Wo finde ich mehr Informationen?

Die Scrum4Schools-Checkliste, das Konzept und überhaupt alles rund um Scrum4Schools findet ihr auf: www.borisgloger.com/scrum4schools Das nächste Training findet am 4. Und 11. Juni statt. Wenn ihr wissen möchtet, woran Anna und Laura gerade arbeiten, dann abonniert am besten den Scrum4Schools-Newsletter. Wenn ihr nicht so lange warten und gleich etwas lesen wollt, dann schaut einfach in den Scrum4Schools-Blog.

Mehr Podcast-Folgen zu Schule und Lernen findet ihr in der Kategorie “Agiles Lernen”.