Wie kommt das Agile in die systemische Beratung? – mit Torsten Groth & Timm Richter (Simon Weber Friends)

„Die Organisation muss lernen, wie sie mit solchen modischen Ansätzen umgeht und nicht immer wieder die Idee hat, oh jetzt kommt eine neue Mode und das wird jetzt die große Initiative, das ist das Richtige.“

Torsten Groth
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Meine Gäste: Torsten Groth und Timm Richter

Diesmal habe ich mir das Geschäftsführer-Duo der systemischen Unternehmensberatung Simon Weber Friends (swf) in den Podcast eingeladen.

Timm hat bisher eine kurze Beratervergangenheit. Bevor er vor einem halben Jahr gemeinsam mit Torsten die Geschäftsführung von swf übernahm, war er fünf Jahre lang Vorstand bei Xing und zuvor Geschäftsführer und Führungskraft in verschiedenen Unternehmen. Er kennt sich definitiv mit Führung aus und hat agiles Arbeiten bei Xing aus erster Hand erlebt.

Torsten berät vor allem Familienunternehmen und hat mehrere Bücher für diese Unternehmen und über den systemischen Beratungsansatz geschrieben. Zuletzt hat er gemeinsam mit Kolleg:innen von swf ein Buch veröffentlicht, das meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat und über das wir im Podcast unter anderem sprechen: New Organizing – Wie Großorganisationen Agilität, Holacracy & Co. einführen.

Das sind die drei Hauptpunkte

1. Warum beschäftigen sich Systemiker:innen jetzt mit Agilität, funktioniert das Systemische nicht?

Meine Gäste lassen sich von dieser Frage nicht provozieren, für sie schließen sich Agilität und systemische Beratung nicht aus (für mich übrigens auch nicht). Das einzige „Problem“, das die systemische Beratung heute habe, sei, dass mittlerweile alle systemisch arbeiten. „Was mich an Agilität fasziniert, ist natürlich, dass es vom Vokabular und von einigen Ansätzen her ja auch Systemtheorie ist. Es geht auch um Umgang mit Komplexität, mit Selbstorganisation und es kommt aus einer Praxis, in der sich bestimmte Vorgehensweisen bewährt haben“, erklärt Torsten.

Und warum beschäftigen sie sich gerade jetzt mit Agilität? swf arbeitet unter anderem mit Organisationen, die nach einem Versuch, sich agil zu transformieren oder einzelne agile Teams aufzusetzen, halb in den neuen, halb in den alten Strukturen feststecken. „Deshalb bin ich als Systemiker relativ entspannt, denn wir sind sowieso ganz oft diejenigen, die nach einer Modewelle dann kommen, weil die Probleme dann ja erhalten bleiben“, sagt Torsten.

2. Überlebensfähigkeit ist keine Modeerscheinung

Meine Kolleg:innen und ich kennen das aus agilen Transformationen: Wir kommen in eine Organisation, um die Arbeitsmodelle effektiver zu machen, und stellen fest, dass hier schon mit allen möglichen agilen Methoden (und Moden) herumgedoktert wurde, aber sich noch niemand mit der Situation des Unternehmens und mit seinen Kund:innen auseinandergesetzt hat. Man kann Organisationen nicht „agilisieren“. Man kann sich nur gemeinsam mit den Leuten ansehen, was diese Organisation braucht und womöglich gibt der agile Werkzeugkasten das richtige dafür her.

Der Beratungsansatz von Torsten und Timm klingt im Vergleich dazu ein Stück abstrakter: Sie verkaufen bei swf Lebenskonzepte bzw. Überlebenskonzepte für Organisationen. Ist das nicht eher reaktiv als zukunftsgewandt? Timm dazu: „Wenn man auf Organisationen guckt, ist immer diese Idee und Vorstellung da, dass man Ziele hat, dass man Dinge erreichen möchte, dass man vorankommen möchte. Das muss man sich leisten können, Ziele zu haben. Es gibt eine Sache, die aus meiner Sicht Ziele immer schlägt und das ist Überlebensfähigkeit.“ Timm spricht von Unternehmen im Krisenmodus (siehe Auswirkungen von Corona oder Krieg in der Ukraine), die sich erst einen „Grundbau“ für das Überleben erarbeiten müssen, bevor sie an die Zukunft denken. Klar, in solchen Situationen buchen die wenigsten Unternehmen einen Visionsworkshop, das weiß ich aus eigener Erfahrung.

Aber dann muss es doch weitergehen, Lebenskonzepte können doch nicht nur vom Überleben handeln? Torsten und seine Mitautor:innen fassen das, worum es beim „Überleben“ geht, in dem Buch New Organizing mit dem Begriff „Postmodisch“ zusammen, den Torsten so erklärt: „Postmodisch heißt, man sieht diese Moden, man kann sich den Anregungscharakter dieser Mode zu Gemüte führen, aber man weiß auch, es ist nur eine Mode und auch nur ein Teil dessen, und fällt nicht in diese Falle, jetzt ein neues Konzept anzupassen und einführen zu wollen, dann enttäuscht zu werden, dann ein nächstes Konzept zu haben, die jeweils immer sehr gut überzeugen, weil sie immer nur eine Seite der Paradoxie bedienen. Jetzt noch flexibler, jetzt mehr auf Kosten achten, jetzt noch schneller. Aber wo bleibt die Beständigkeit? Die andere Seite holt einen immer wieder ein und das sollten Organisationen – und das versuchen wir mit diesem Begriff des Postmodischen zusammenzufassen – irgendwann durchschaut haben, dieses Spiel.“

3. Führung bedeutet, der Organisation zu helfen, mit Widersprüchen umzugehen

Diese andere Seite, die einen einholt, das sind die Widersprüche oder Paradoxien (bzw. die zwei Seiten jeder Medaille), mit denen jede:r von uns im eigenen Leben und auch jede Organisation umgehen muss. Für Timm und Torsten ist es die Aufgabe von Führung (Führungskräften oder anderen Menschen), die Paradoxien im Unternehmen (z. B. dass jede Abteilung einen anderen Fokus hat) so zusammenzuführen, dass am Ende etwas Sinnvolles dabei herauskommt (Timm: „Die Sachen müssen zusammenpassen.“).

Ein Paradox ist sicherlich auch das von Führung in (weitgehend) selbstorganisierten Teams und Unternehmen. Timm und Torsten beobachten, dass Selbstorganisation eine Angst vor Hierarchie hervorruft. Führungskräfte trauen sich nicht mehr, zu führen. Die Folge: Niemand trifft mehr Entscheidungen.

Ich habe Selbstorganisation braucht Führung geschrieben, weil ich bemerkte, dass uns eine Anleitung dazu fehlt, wie selbstorganisierte Systeme geführt werden können, wenn man möglichst viele Freiheitsgrade erhalten will. Ja, auch in der Überzeugung, dass Team und Organisationen eine Richtung brauchen und dass es sogar jemanden braucht, der verhindert, dass es zu klassischem Führen durch Machtmissbrauch kommt.

Hört mal rein und erfahrt mehr über diese Themen

Wir unterhalten uns außerdem über den Unterschied zwischen Beratung und Coaching, über die systemtheoretischen Einflüsse in der Agilität, warum die Angst vor Hierarchien einem Möglichkeiten nimmt und wieso Organisationen ein Gedächtnis brauchen. Hört mal rein und lasst mich wissen, was eure Gedanken sind.


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