Mindset und Kultur: wie Handeln das Denken verändert – mit Conny Dethloff (borisgloger)

„Man braucht nicht über Mindset reden. Man sollte lieber an äußeren Strukturen arbeiten.“

Mein Gast: Conny Dethloff

Ich freue mich jedes Mal, wenn Conny Dethloff und ich Zeit finden, um über unsere Vorstellungen von der agilen Welt zu sprechen. Die einen oder anderen kennen ihn schon aus weiteren Podcasts, zum Beispiel über das Schätzen oder zum Thema „Was dürfen Menschen in Unternehmen?“ Conny ist Mathematiker, 1999 in die Wirtschaft gekommen und 2020 mein Kollege bei borisgloger consulting geworden. Dabei ist er mir gleich zu Beginn als kontroverser Denker und spannender Gesprächspartner aufgefallen. Heute zerpflücken wir ein paar der großen Begriffe, die in der Beratungsbranche oft inflationär kursieren. Wie immer hat Conny auch dieses Mal wieder einige überraschende Perspektiven für euch parat.

Das sind die drei Hauptpunkte

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1.     Lieber am Arbeiten arbeiten statt am Mindset

Es scheint nun schon länger ein neues Allheilmittel in der Beratungsbranche zu geben, das als Antwort für viele Fragen herhalten muss. Was tun, wenn die Marktanteile sinken? Am Mindset arbeiten. Die Mitarbeiter:innen bringen sich zu wenig ein? Unbedingt am Mindset arbeiten. Wie kann man verhindern, dass gute Leute das Unternehmen verlassen? Ihr müsst am Mindset arbeiten, ist doch klar. Alles andere als klar ist aber, was das im Konkreten heißt.

Mindset, das ist die Summe der Einstellungen eines Menschen zu bestimmten Themen. Conny erklärt den Begriff wie folgt: „Meine Einstellungen haben sich ab dem ersten Tag meines Lebens durch positives und negatives Erleben aufgebaut. Sie bestimmen mein Verhältnis zur Welt, aber ich kann nur vermuten, warum ich wie zu etwas stehe.“ Damit spricht er einen zentralen Punkt an. Das Mindset ist für uns gar nicht greifbar. Wie sollen wir dann an diesem Mindset arbeiten? Wenn das schon auf der persönlichen Ebene so schwierig ist, dann wird es auf Organisationsebene noch um einiges komplexer.

Das Mindset ist sicher ein wichtiger Faktor in der Zusammenarbeit, denn es bestimmt das Verhalten mit. Als Consultants wollen wir genau dieses Verhalten ändern, um Unternehmen erfolgreicher zu machen. Für Conny gibt es dafür aber einen viel effektiveren Ansatz, als sich Gedanken über das Mindset zu machen: „Ich glaube ganz fest daran, dass wir eher das Setting verändern müssen. Darüber ändert sich das Verhalten und damit vielleicht auch das Mindset.“

2.     Frei nach Shu Ha Ri: durch das Handeln entwickelt sich unser Denken

Viel greifbarer und leichter gestaltbar als das vage Konstrukt des Mindsets sind also die Strukturen, in denen wir uns jeden Tag im Unternehmen bewegen. Indem wir neue Prozesse einführen oder ineffektive Prozesse verbessern, haben wir auf Organisationsebene konkrete Hebel, mit denen wir etwas bewirken können.

Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt Conny anhand von etwas, das er selbst erlebt hat: In einem Führungskreis gab es das Problem, dass die Mitglieder sich gegenseitig zu wenig unterstützten, weil sie zu stark in ihren Silos isoliert waren. Darum haben sie sich „gezwungen“, einander einmal in der Woche etwas Gutes zu tun und im Jour Fixe darüber zu reden. Das klingt erst einmal ungewöhnlich, aber auf den zweiten Blick wird klar, wie das wirkt: Durch das Erfinden dieser Regel entsteht eine gegenseitige Verbindlichkeit. Denn man möchte nicht als Einzige:r im Jour Fixe nichts dazu beitragen können. Darum machen die Leute dann einfach etwas Gutes und reden darüber, bis sich diese Dynamik verselbständigt: „Irgendwann brauchst du diese Methode nicht mehr, weil sich durch das Handeln im Kopf etwas verändert hat und du ganz anders im Team arbeitest“, erklärt Conny.

Diese Entwicklung folgt in ihren Grundzügen dem japanischen Lernkonzept Shu Ha Ri, das die drei Lernstufen zur Meisterschaft bezeichnet. Am Ende läuft das, was am Anfang noch holprig gewirkt hat, ganz automatisch. Man denkt anders und die Einstellung zum Team ist eine andere. Das Mindset ändert sich, wenn die Mitarbeiter:innen erkennen, dass ein Prozess wertvoll ist. Dazu müssen sie ihn ausprobieren.

3.     Erst kommt der Erfolg, dann die Kultur

Seit einigen Jahren wird ständig über Unternehmenskultur gesprochen. Die Idee dahinter ist in der Regel: Eine gute Kultur wird zu besseren Ergebnissen führen. Die essenzielle Frage ist, was vorher da war: die Kultur oder die Ergebnisse? Conny hat eine klare Meinung dazu: „Kultur ist nicht Ursache für Unternehmen, um wirksam zu sein, sondern umgekehrt. […] Ich glaube eher, dass Unternehmen – wenn sie erfolgreich sind – eine Kultur ausbilden, die nur passfähig sein kann.“ Besser kann man es nicht formulieren.

Ich habe das intuitiv auch immer so wahrgenommen. Ich wollte immer am Erfolg eines Unternehmens arbeiten, an der Schnelligkeit, Nutzerorientierung oder Produktqualität. Denn dafür gibt es konkrete Stellschrauben, an denen ich drehen kann. Im Optimalfall entsteht dann eine Kultur auf Basis funktionierender Prozesse. Erst wenn das gelingt, macht es Sinn, sich zu überlegen, wie man diese Kultur bewahren und ausbauen kann.

Zu diesem Thema habe ich kürzlich auch ein spannendes Gespräch mit Tim Christian Bartsch geführt. Dabei ist mir eine Aussage besonders im Kopf geblieben: Tim, Kulturcoach beim Energiekonzern EWE NETZ, sagte mir, dass man Kultur nur durch ein „absichtsloses Feuer“ weiterentwickeln könne. Dieses Bild passt als Schlusswort auch zu dieser Podcast-Episode ganz gut: Wenn ich den Menschen sage, welche Werte, welche Kultur sie leben sollen oder wie ihr Mindset auszusehen hat, dann wird das nicht viel bringen. Wenn ich aber ins Unternehmen reingehe und den Leuten mit meinem Handeln zeige, was möglich ist, dann werden die richtigen Menschen gerne ein Teil davon sein.

Wie steht ihr zu Mindset und Unternehmenskultur? Gibt es Leser:innen oder Hörer:innen unter euch, die das ganz anders sehen? Ich bin gespannt auf eure Kommentare und freue mich auf die Diskussion.


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Aus meinem Podcast:

Aus dem borisgloger-Blog von Conny:

Conny Dethloffs eigener Blog: Reise des Verstehens